Über den Künstler

Die Kunst die wir nicht wollen, aber brauchen

Jeder findet etwas Anderes in der Kunst, aber jeder sucht nach dem was er finden will. Wenn wir nichts finden, sind wir enttäuscht. Wir fühlen uns beraubt, unberührt, nicht richtig angefasst vom Werk, vom Künstler.

Mit jedem seiner Bild findet man etwas, das fehlt. Man wird eingeladen danach zu suchen, aber man wird nichts finden. Bernhard Staerk konfrontiert uns mit dem Mangel. Seine Bilder sind Werke, die keine Antworten liefern. Sie stellen nicht mal Fragen. Es ist, als würde man die Illusion von der Realität ziehen und darunter kommt eine völlig phantasielose und nicht einmal eindeutige Wirklichkeit zum Vorschein. Auf den ersten Blick hinterlassen seine Bilder den Betrachter unerfüllt zurück.

Und immer wieder versucht man doch etwas zu greifen, etwas zu finden.

Aber da ist nichts zu Greifen. Seine Figuren verschwimmen mit dem Hintergrund. Man erwartet eine Tiefe in der Vielschichtigkeit, eine traumhafte, plastische Realität. Aber man wird konfrontiert mit seichten Figuren, die mit in Ornamenten des Hintergrunds verblassen. Der Hintergrund ist, worum es geht. Das, was sich nicht zeigen kann, scheint hindurch. Und doch bleiben wir auf der Oberfläche. Wir finden Ornamente, Rückbleibsel, angedeutete Ideen, die nie zu ende geführt wurden. Bernhard Staerk zeigt uns die milde Rohheit einer scheinbar willkürlichen Symbiose aus Figuren und Hintergrund. Unsere Hände bleiben leer, in uns entsteht das Gefühl von Mangel, ohne, dass wir klar sagen können, wodurch sich dieser begründet. Denn eigentlich ist doch alles da.

Bernhard Staerk lässt die Indifferenz der Welt zur Sprache kommen. In seinen Bildern zeigt sich die Gleichgültigkeit der Natur, die keine Effekthascherei bedarf, sondern einfach passiert. Kein Leuchten, keine plakativen Botschaften, skandalöse Inszenierungen, politische Agenda oder Hommages mit Metaebene.

Ein freier Fall, der nie beginnt.

Staerk lässt den alten Geniebegriff fallen, distanziert sich vom Künstlerarchetyp als Kontrollinstanz. Uns begegnen dekontextualisierte Fragmente, fast willkürlich arrangiert, nur mit dem Hauch einer Idee, ganz seicht angestupst in eine Richtung, die sich trotzdem nicht benennen lässt. Wir bekommen den Ausdruck von Willkür, der sich von reiner Willkür immer noch ein Stück weit unterscheidet. Darin zeigt sich das einzige Eingreifen des Künstlers, in der Entscheidung so wenig wie möglich einzugreifen.

Die Anwesenheit der Abwesenheit, die in allen Werken von Bernhard Staerk zu finden ist, stellt eine Unerfüllung unserer Wünsche dar. Uns begegnet die Leere der Zufälligkeit, die den Rezipienten in Schrecken versetzt, dessen Ursache sich nicht in Worte fassen lässt. Es ist ein Stein im Schuh, obwohl man gar keine Schuhe trägt. Und diese Ungreifbarkeit, dieser unsichtbare Stein wird mit einer undramatischen Melancholie vermittelt, die sich im tristen, aber nicht hoffnungslosen Farbspektrum widerspiegelt.

Es beschleicht einen das Gefühl, die Bilder seien unfertig. Trotzdem sind es mehr als Skizzen. Man will sie einordnen, denkt erst, es sei eindeutig Kitsch, dann wird es plötzlich hölzern und passt nicht mit dem Kitsch zusammen. Es ist eine angedeutete Bewegung, die so wage ist, dass man sie nicht interpretieren kann und doch ist sie nicht nichts. Sie inszeniert nicht einmal diese Abwesenheit des Seins, die ist einfach. Reines Sein.

Eine untrennbare Vermischung aus Schwere und Leichtigkeit wächst über Staerks Leinwandfasern. Die Motive klar und doch nicht einordbar. Als wäre das was wir zu sehen bekommen das einzige, worum es nicht ginge.

Gewissermaßen ist es eine wohlwollende Gewalt, dem Rezipienten entgegengebracht wird. Die Bilder verletzen und berühren auf eine unsichtbare Weise. Nicht durch kräftige Symbole oder schreckliche Inhalte, sondern durch die Indifferenz. Die völlige Abwesenheit eines kontrollierenden, allmächtigen Künstlers, an dessen Geltungsdrang und Omnipräsenz sich das moderne Auge längst gewöhnt hat. Das Ausbleiben der gewohnten herrschaftlichen Aufmerksamkeitsführung des klassischen Geniearchetypen irritiert beim Schauen. Der Prozess und die Umgebung des Künstlers kommen zur Sprache. Seine Bilder sind eine Pflanze, die wächst mit gerade der Sonne, die eben da ist und dem Regen, der eben auf sie fällt. Der Künstler lässt die Kunst atmen, ohne ihr künstlich Luft zuzuführen.

Und immer wieder dringt der Hintergrund mit sanfter Gewalt spielerisch durch die Figuren hindurch, verhindert, dass sie sich eigenständig in den Vordergrund stellen, verwehrt sich jeglicher Dialektik, jeder Subjekt-Objekt-Beziehung. Selbst wenn es nur einzelne Ornamente sind, irgendetwas transzendiert immer. Und meist ist es die Vergangenheit in Form von Rennaissance Stuckornamenten, die sich spiegeln, verlieren, selbst transzendieren, von der ursprünglichen Form in die Bilder und von den Bildern durch die Farbschichten hindurch in den Betrachter. Die Vergangenheit spricht, aber nicht direkt, nicht personifiziert, nicht mit Worten, sondern durch ihre Anwensenheit, durch ihre kausale Wirkmacht durch Raum und Zeit. Die Zurücknahme des Künstler-Egos ermöglicht das Sein lassen.

Diese Bilder betrachtet man nicht wie Landschaftsmalereien, sondern wie die Landschaft selbst. Weniger als das. Wie Natur. Auszüge aus Landschaften, gewählt durch den Zufall. Ohne höhere Agenda, ohne festen Hintergrund und Rahmen, vor und in dem wir die Motive betrachten sollen können, sehen wir nur ein paar Bäume, ein paar Büsche, ein paar Verästelungen und Blätter. Das, was nur ein Bewusstsein dazulegen kann fehlt. Und gerade das ist es, was diese Bilder so schwer zu ertragen macht.

Ob wir wollen oder nicht, der willkürliche Ausdruck und der Mangel an klaren Bedeutungen, lassen in uns selbst den Herrschaftswillen erwachen. Wir beginnen die Bilder künstlich zu harmonisieren. So sehr fühlen wir uns gegen den Strich gebürstet, von der sanften Gewalt des Künstlers. Wir ertragen es so wenig nicht zu finden, was wir suchen, dass wir selbst schöpferisch tätig werden und zur Sinnstiftung greifen. Dabei ist das unser Leben. Unser ganzer Alltag ist bestimmt von dem Gefühl, dass etwas fehlt, obwohl keiner sagen kann, was es eigentlich ist. Dieser Mangel an harmonisierenden Sinn, der sich wie ein Treppenhaus ohne Geländer anfühlt. Ein Wort, das auf der Zunge liegt und doch nie rauskommt. Etwas Unbenennbares, auf das wir lebensnotwendig angewiesen sind.

Zu oft suchen wir die epische Inszenierung, die anekdotische Gesellschaftskritik, die tiefe Berührung. Zu selten schauen wir ohne zu suchen. Bernhard Staerks Bilder werfen den Blick zurück auf uns selbst, auf das Unbehagen, das sich in uns frei macht, wenn wir mit einer Lücke konfrontiert sind, die wir dringlich füllen wollen. Es ist die Stelle, an der Staerk sein eigenes Ich zurücknimmt, um dem Sein Platz zu geben, die wir sogleich mit der geballten Macht unserer eigenen Phantasie zu füllen versuchen.

Bei Staerk wird nichts übergestülpt oder gefordert, sondern möglich gemacht. In letzter Instanz lädt die Indifferenz der Natur seiner Bilder sowohl dazu ein, unser Bedürfnis nach Sinn mit der eigenen Phantasie selbst zu erfüllen und dabei zu entdecken, auf welche Weise sich unsere Phantasie einen Weg zum Sinn bahnt, als auch dazu, sich selbst zurückzuhalten und in der Erfahrung des Sein-Lassens zu kontemplieren.

Hier wird uns nichts vorgekaut, noch wird uns etwas derart Zähes aufgetischt, dass wir erst zum analytischen Besteck greifen müssen, um etwas Bedeutsames herausschneiden zu können. Wir bringen alles mit, was wir brauchen, um diese Bilder zu sehen. Um sie richtig zu sehen. Und die Bilder erlauben uns das zu begreifen. Es ist ok. Auch wenn es nicht so ist, wie du es haben willst, auch wenn da etwas fehlt, das du begehrst. Es ist in Ordnung. Nimm es einfach an. Wenn überhaupt sind das die Sätze, die Bernhard Staerk in den Schaffungsprozess hat einfließen lassen. Man kann ihn sich vorstellen, wie er hinter den Bildern steht und diese Sätze durch die Leinwand hindurch flüstert. Aber finden, hören oder lesen wird man diese Sätze nie in seinen Werken. Aussprechen müssen wir sie immer noch selbst. Aber vielleicht reicht es dafür auch, den Mund aufzumachen, ohne zu sprechen. Vielleicht reicht es, die Leere eines staunenden Mundes für sich sprechen zu lassen.

Philip Hart B. A.

Grenzverwischung

Während sich Bernhard Staerk schon in München in seinem Schaffen der Üppigkeit und Schönheit der Vegetation, aber auch ihrer Vergänglichkeit widmete, fand er in Dresden in den Formen des Barocks weitere Entsprechung. Wir sehen hier drei frühe Arbeiten, die zeigen, wie meisterlich seine Beobachtungsgabe, wie exakt sein Bleistift- und Tuschestrich sind, wie hervorragend seine Gabe zur Komposition und auch Störung dieses – zunächst scheinbar realistischen – Motivs sind. Da kommt etwas Skizzenhaftes, Verwunderliches in das Bild, das die Harmonie bricht und sie umso ergreifender macht. Und sehnt sich der Mensch nicht nach Schönem? Das Schöne spricht an, bleibt aber Hülle, wenn dem keine Substanz innewohnt. Mir sind Bernhard Staerks Bilder eine Freude, sie sind dekorativ, aber niemals ohne weitere Botschaft. Sie besitzen eine Ästhetik in Form und Farbe, die einen fesseln kann und neugierig auf die weitere eingehendere Betrachtung des Bildes macht. Die Grenzen zwischen Malerei und Graphik, zwischen Ornament und Körper, Entfremdung und Realität zu durchbrechen, bestimmen sein Werk und zeigen bei all den Spielarten, die sein Oeuvre ausmachen, eine, seine unverwechselbare Handschrift. Und welche Bandbreite zeigt sich da. Da ist die andauernde Auseinandersetzung mit barocker Formensprache, sei es in der Plastik und Architektur des Dresdner Barock, seien es Katakombenheilige – eine Tradition, die ihm aus der schwäbischen Heimat bekannt ist. Es sind Bilder, die dabei niemals antiquiert sind. Da gibt es eine Vielzahl an charaktervollen Kinderporträts oder Spielzeugbilder, wo die Spielzeugansammlung im Kinderzimmer zur Landschaft werden, die Darstellung eines Teddybären zum ernsten Bildnis. Es gibt Porträts, Akte, Darstellungen von Models, die in ihrer Grazilität fast am eigenen Idealbild zu zerbrechen scheinen oder Darstellungen von Instrumenten aus dem Mathematischphysikalischem Salon im Dresdner Zwinger, die mit Bernhard Staerks Auge betrachtet, ganz neue Licht- und Strukturspiele eröffnen, mit seinem jetzigen Blick ein neues Kunstwerk ergeben. Und, und, und … Er kennt keinen Grenzen, wenn er Alltägliches wie sehr Besonderes zu seinen Motiven macht.


Cornelia Reimann M.A., Kunsthistorikerin
Aus der Laudatio zur Vernissage „Grenzverwischung“, 8. September 2023

Weitere Stimmen